Demo gegen Justizreform in IsraelRede von Rabbinerin Elisa Klapheck
Liebe Freundinnen und Freunde,
Schalom chawerim – schalom chawerot!
Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Demo,
ob Juden und Jüdinnen,
ob aus Israel
oder ob einfach nur solidarisch mit Israel
und seiner Demokratie,
Das ist die erste Rede auf einer Demonstration, die ich halte.
Ich hätte nie gedacht, dass es soweit mit mir kommt, dass ich auf einer Demo spreche.
Rabbiner sollten sich eigentlich aus der Alltagspolitik heraushalten.
Aber hier geht es nicht um Alltagspolitik – hier geht es um Grundsätzliches!
In der Tora steht ganz eindeutig, dass die Regierung unter dem Gesetz steht –
Unter dem Gesetz und nicht über dem Gesetz
Wenn Du Dir einen König gibst, - sagt die Tora - „soll er sich diese Tora zweimal abschreiben – und sie soll bei ihm sein, dass er darin lese alle Tage seines Lebens, auf dass er lerne den Ewigen seinen Gott zu fürchten, zu beobachten alle Worte der Tora und dieser Rechtssatzungen, um sie auszuüben – dass sich nicht erhebe sein Herz über seine Brüder und dass er nicht weiche von dem Gebote rechts noch links.“ (Deut. 17, 18-20)
In der antiken Welt war das ein Novum – ein König, der sich an die Tora zu halten hat. Der unter ihr steht und aus ihr lernen soll.
Das war ein Meilenstein in der Geschichte der Rechtsstaatlichkeit.
Dass es Gesetze gibt, die den König, beziehungsweise die Regierung in Schranken weisen, zeigt, dass der Rechtsstaat immer in Gefahr ist, von Machthabern ausgehöhlt zu werden.
Sonst gebe es nicht diese Gesetze dagegen.
Die Tora bildet den Schutz gegen Könige, die die ganze Macht wollen.
Und das lässt sich ganz klar auf heute übertragen.
Das ist die Tora, die mich motiviert, heute hier zu sprechen.
In der Demokratie ist jeder König – jeder verantwortlich.
Als Jüdin – egal ob in Israel oder hier in Deutschland – bin ich verpflichtet, im Namen der Tora alle Kräfte zu stärken, die die Verbindung zwischen Judentum und Rechtsstaat bekräftigen.
Die Tora verpflichtet mich.
2000 Jahre lang haben Juden und Jüdinnen gehofft, wieder einen Staat zu haben – um ein freies Volk zu sein.
Es war nur logisch, dass Theodor Herzl, der Gründer des Zionismus, sich in seinen Schriften „Altneuland“ und „Der Judenstaat“ einen Rechtsstaat, eine Demokratie vorstellte.
Als David Ben Gurion vor genau 75 Jahren die Unabhängigkeitserklärung vorlas, ging es um einen jüdischen Staat – aber es ging um mehr. Es ging um Freiheit, ein freies Volk zu sein – und das geht nur in einer Demokratie.
Man kann sagen, was geht uns die Politik in Israel an? – die Leute sollen dort selbst entscheiden, welche Regierung sie haben wollen. Wir leben hier.
Nein – es geht auch um die Zukunft des Judentums.
Heute demonstrieren weltweit Jüdinnen und Juden und Menschen, die solidarisch mit Israel sind, für den Erhalt der israelischen Demokratie. Es zeigt sich auf diese Weise eine tiefe Verbindung zwischen den Menschen im Staat Israel und außerhalb. Dieses Band darf nicht zerreißen.
Wir feiern als Juden die Demokratie auch hier in Deutschland. In diesen Tagen feiern wir 175 Jahre Paulskirche – ein Meilenstein in der Demokratiegeschichte Deutschlands. Viele Juden waren dabei beteiligt. Ich nenne nur Gabriel Riesser, den Vize-Parlamentspräsidenten des Paulskirchenparlaments. Er kämpfte für die Religionsfreiheit und Gleichberechtigung der Juden in Deutschland. Seine Ideen sind heute im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschlands verankert.
Wie ich sagte:
Judentum und Rechtsstaat gehören zusammen.
Die ganze jüdische Rechtskultur hat damit zu tun. Ob als jüdische Religionsgesetze in der Tora oder ob als säkulare Gesetze für die Gesellschaft. Juden und Jüdinnen standen in der Geschichte überall mit an vorderster Front, wenn es um die Freiheit und das Recht ging.
Ich kann als Jüdin heute - nicht nur Demokratie und Rechtsstaat in Deutschland verlangen. Wir können es nicht nur hier verlangen. Wir verlangen es ganz besonders auch im Staat Israel – dem Staat, der das jüdische Volk repräsentiert.
Niemand von uns hätte erwartet, dass es jemals eine Justizreform im Staat Israel geben könnte, die die Grundfeste der Rechtsstaatlichkeit aushebeln will.
Als Rabbinerin, als religiöse Jüdin, sehr ich mich verpflichtet, zusammen mit Euch und Ihnen hiergegen einzutreten.
Toll – wer hier alles ist. Es zeigt, wie viel Israel den Menschen am Herzen liegt.
Vielen Dank, dass Ihr alle gekommen seid und ein Zeichen setzt.
Es geht nicht nur um den Staat Israel.
Es geht auch um die Zukunft des Judentums. Dort und hier. Am Jisrael chaj!
Artikel
Frankfurter Rundeschau 21.05.2023
Von Florian Leclerc
In Frankfurt haben am Sonntag (21.5.23) auf dem Opernplatz etwa 100 Personen gegen die Justizreform in Israel demonstriert. Nachdem in Israel seit Jahresbeginn Tausende und teilweise Hunderttausende Menschen gegen das Vorhaben der israelischen Regierung auf die Straße gegangen sind, sei es nun an der Zeit, dass auch Frankfurt Solidarität zeige, sagte eine Veranstalterin.
Die Kundgebung von etwa 16 bis 17 Uhr stand unter dem Motto „Demonstration in Solidarität mit der israelischen Demokratiebewegung – in Frankfurt“.
Knesset außerhalb der Gerichtskontrolle
Neben Meron Mendel, dem Leiter der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank, nahmen auch die Rabbinerin Elisa Klapheck von der liberalen Frankfurter Synagogengemeinschaft „Egalitärer Minjan“ und Mirjam Wenzel, Leiterin des Jüdischen Museums Frankfurt, daran teil.
„Wir kritisieren nicht Israel, sondern die zu großen Teilen rechtsextreme Regierung in Israel“, betonte Meron Mendel. Die größte Bedrohung der Demokratie in Israel komme nicht von den Menschen in Palästina oder arabischen Staaten, sondern von der israelischen Regierung.
Die geplante Justizreform zielt darauf ab, die Kontrolle der Knesset durch eine unabhängige Gerichtsbarkeit abzuschaffen. Bisher überprüft der Oberste Gerichtshof die Rechtmäßigkeit von Gesetzen. Künftig soll das Parlament das Recht haben, Entscheidungen des Gerichtshofs mit einfacher Mehrheit zu überstimmen.
„Die Thora schreibt vor, dass die Regierung unter dem Gesetz steht“, führte Rabbinerin Elisa Klapheck aus. Das sei ein Meilenstein in der Geschichte des Rechtsstaats gewesen. „Judentum und Rechtsstaat gehen zusammen“, sagte sie. 1948 habe Ben Gurion den Staat Israel als Demokratie ausgerufen.
Angesichts der Bedrohung der Demokratie in Israel durch die israelische Regierung dürfe die deutsche Regierung nicht schweigen, forderte Meron Mendel. „Jetzt ist der Moment, klare Kante zu zeigen.“ Als kontraproduktiv stufte er den Jerusalem-Besuch von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) im Februar ein.
Auch die Einladung des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu im März nach Berlin habe der israelischen Regierung den Rücken gestärkt. Wenn Rechtsextreme an der Regierung seien, sei eine rote Linie überschritten.
Rabbinerin Elisa Klapheck führte das Beispiel des Juden Gabriel Riesser (1806-1863) heran, der sich als Abgeordneter der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche vor 175 Jahren für Demokratie und Rechtsstaat eingesetzt hätte.
Eine Veranstalterin wertete die Beteiligung an der Kundgebung als Zeichen der Solidarität mit den Menschen in Israel. Sie kündigte weitere Veranstaltungen an.
Protest in Frankfurt am Main: Für die israelische Demokratie Die geplante Justizreform beunruhigt auch Israelis in Deutschland. Gegen den Plan der rechten Regierung rufen einige am Sonntag zu einer Demo auf.
die tageszeitung, 19.05.2023
von Frederik Eikmanns
Israelis rufen dazu auf, am Sonntag in Frankfurt am Main für die Demokratie in Israel zu demonstrieren. Der Protest ab 16 Uhr vor der alten Oper richtet sich gegen die rechte Regierungskoalition von Premierminister Benjamin Netanjahu und deren geplante Justizreform, die die Gewaltenteilung in dem Land bedroht. „Die israelische Demokratie ist in Gefahr“, sagt Adi Hagin, die die Demo zusammen mit anderen Privatleuten organisiert. „Wir brauchen internationale Aufmerksamkeit.“
Zwar wurde die von Netanjahu beabsichtigte Justizreform gestoppt, nachdem es insbesondere im liberalen Tel Aviv große Demonstrationen mit teils hunderttausenden Teilnehmer*innen gegeben hatte. Doch Hagin warnt, dass Netanjahu sein Vorhaben nicht wirklich aufgegeben habe: „Netanjahu will die Bevölkerung bloß beruhigen. Wir dürfen nicht einschlafen.“
Die Pläne sehen unter anderem vor, dass das israelische Parlament Knesset Einsprüche des obersten Gerichtshofs gegen Gesetze einfach überstimmen kann. In dem Ausschuss, der Richter*innen einsetzt, sollen außerdem mehr Abgeordnete sitzen. Kritiker*innen fürchten dadurch Beeinflussung der Justiz durch die Politik und schweren Schaden für die israelische Demokratie. „Es geht darum, das Verfassungsgericht zu schwächen“, sagt Hagin.
Brisant ist das Gesetzesvorhaben auch, weil gegen Netanjahu mehrere Prozesse wegen Korruption laufen. „Netanjahu versucht, um das Gefängnis herumzukommen“, sagt Hagin.
Wer solidarisch mit Israel ist, ist willkommen
Von der Demo in Frankfurt soll nun ein Zeichen der Solidarität mit der israelischen Demokratiebewegung ausgehen. Redebeiträge kommen von Meron Mendel, dem Leiter der Bildungsstätte Anne Frank aus Frankfurt, und der Rabbinerin Elisa Klapheck der liberalen Frankfurter Synagogengemeinschaft „Egalitärer Minjan“.
Klapheck sagt der taz: „Wir wollen, dass die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Israel erhalten bleiben.“ Judentum und Rechtsstaatlichkeit gehörten zusammen: „Nach den Gesetzen der Tora steht die Regierung, damals war das der König, unter dem Gesetz. Es kann nicht sein, dass ausgerechnet im jüdischen Staat die Rechtsstaatlichkeit ausgehöhlt werden soll.“
Eingeladen sind zu der Demo laut den Initiator*innen alle, die die Demokratiebewegung unterstützen möchten. Rednerin Klapheck sagt: „Diejenigen, die solidarisch mit Israel sind, solidarisch mit dem jüdischen Volk, dem Judentum, und sich Sorgen machen, dass die Demokratie in Israel ausgehebelt wird, sind willkommen. Diejenigen, die das als Anlass für antisemitisch motiviertes Israel-Bashing nehmen, sind es nicht.“
BerichtDemo gegen Justizreform in IsraelRede von Rabbinerin Elisa Klapheck
Liebe Freundinnen und Freunde,
Schalom chawerim – schalom chawerot!
Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Demo,
ob Juden und Jüdinnen,
ob aus Israel
oder ob einfach nur solidarisch mit Israel
und seiner Demokratie,
Das ist die erste Rede auf einer Demonstration, die ich halte.
Ich hätte nie gedacht, dass es soweit mit mir kommt, dass ich auf einer Demo spreche.
Rabbiner sollten sich eigentlich aus der Alltagspolitik heraushalten.
Aber hier geht es nicht um Alltagspolitik – hier geht es um Grundsätzliches!
In der Tora steht ganz eindeutig, dass die Regierung unter dem Gesetz steht –
Unter dem Gesetz und nicht über dem Gesetz
Wenn Du Dir einen König gibst, - sagt die Tora - „soll er sich diese Tora zweimal abschreiben – und sie soll bei ihm sein, dass er darin lese alle Tage seines Lebens, auf dass er lerne den Ewigen seinen Gott zu fürchten, zu beobachten alle Worte der Tora und dieser Rechtssatzungen, um sie auszuüben – dass sich nicht erhebe sein Herz über seine Brüder und dass er nicht weiche von dem Gebote rechts noch links.“ (Deut. 17, 18-20)
In der antiken Welt war das ein Novum – ein König, der sich an die Tora zu halten hat. Der unter ihr steht und aus ihr lernen soll.
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