Talmud-Lesen im EM - oder:Tiefseetauchen in die Gedankenwelt unserer Vorfahren
von Daniel Krasa
Seit meiner frühen Jugend hat mich der Talmud irgendwie fasziniert. Anfangs natürlich nicht unbedingt nur aufgrund seiner philosophisch-religiösen Inhalte, sondern als ein – wie mein Großvater es nannte – niemals endendes Buch, in dem über Generationen hinweg diskutiert und debattiert wird. Und je älter ich wurde und je mehr ich mich mit Mischna und Gemara beschäftigte, desto mehr fühlte auch ich, als ob jeder individuelle Lebensabschnitt – also sinnbildlich jede „Generation“ meines Lebens – immer wieder neue Aspekte aus den Schriften herausliest. Gerade so, als würde sich der Text aufs Neue formen und genau dort ansetzen, wo ich mich persönlich gerade gedanklich und emotional befinde. Der Talmud ist für mich die vielleicht faszinierendste Schrift von allen, denn hier begründen sich so viele grundlegende Gedankengänge, die ich als typisch jüdisch bezeichnen würde, darunter das immer währende Hinterfragen, die unerschütterliche Suche nach der „wahren“ Lehre, aber auch der stets geistreiche Denkansatz, auf dem nicht zuletzt auch unser so oft kolportierter Humor basiert. Zwar bin ich alles andere als Talmud-fest, aber ich versuche in meinen kleinen Leseeinheiten zumindest zu erahnen, welch tiefes Wissen und welch scharfsinnige Weisheit sich in den über zehn Millionen Wörtern dieses 517 Kapitel umfassenden Werkes verbirgt. Talmud-Lesen hat für mich etwas von Tiefseetauchen in die Gedankenwelt unserer Vorfahren; es ist eine Art Pingpong-Spiel der Pros und Kontras zu allen erdenklichen Themen, ob profaner oder tiefspiritueller Natur. Und das philosophisch Ultimative daran ist für mich ganz persönlich, dass die talmudische „Wahrheit“ immer zwei Seiten hat, es also kein „schwarz“ oder „weiß“, kein „richtig“ oder „falsch“ gibt, sondern immer einen Konsens, der letztendlich versucht, das Beste aller Argumentationen zu vereinen.
So weit, so gut. Doch mal ganz ehrlich, das Talmud-Lesen ist auch eine echte Herausforderung. Als ich versuchte, die Schriften alleine zu studieren, verlor ich nicht selten den Faden in den abwechselnden Interpretationen von Hillel und Shammai, bei den oftmals spitzfindigen Ausführungen der Rabbanan Abbaye, Shesheth, Ashi, Yehuda und wie sie alle heißen mögen. Zu viel Hintergrundwissen muss man in so manchem Traktat mitbringen, um auch nur ansatzweise dem Text zu folgen, denn ohne professionelle Anleitung ist die Komplexität der Argumentation ganz häufig kaum verständlich. Ich bewundere diejenigen, die in der Lage sind ihr Daf Yomi – die tägliche Talmud-Seite innerhalb eines siebeneinhalb Jahre dauernden Gesamtzykluses – zu meistern… Ich schaffe das jedoch bis dato leider nicht, nicht zuletzt weil jede Seite des Textes Kenntnisse über andere Seiten voraussetzt, weshalb es schwierig ist, ohne einen Gesamtüberblick zu lernen...
Umso mehr freute es mich zu erfahren, dass unsere Rabbinerin Prof. Elisa Klapheck regelmäßige Schiurim zum Traktat „Schabbat“ im Talmud Bavli hält. Es ist in diesen Schiurim, dass ich tiefer in den Sinn des Textes einsteigen kann, den Bezug zur Geschichte der Juden im babylonischen Exil herstelle und die Aussage auch auf die Gegenwart reflektieren kann. Wie immer beim Egalitären Minjan handelt es sich bei all diesen Schiurim um einen geistig-kreativen Austausch aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter der Anleitung unserer Rabbinerin und mit viel detaillierter Diskussion über die Inhalte. Ob zu den 39 verbotenen Tätigkeiten an Schabbat, dem Begriff der Pikuach Nefesch oder der Mitzwa, keine Handlung an Schabbat abzuschließen: das Dunkel der wortgenauen Talmud-Interpretation hat sich durch die Ausführungen unserer Rabbinerin für mich ein wenig gelichtet. Die Schiurim sind offen für alle interessierten Mitglieder und Freunde des Egalitären Minjan, ob mit oder ohne Vorkenntnisse und unabhängig davon, ob man nur mal eine kleine Ahnung bekommen möchte oder vorhat, zum Talmud-Profi zu werden. Wichtig ist es auf jeden Fall mit offenem Geiste teilzunehmen, denn wie heißt es so schön im Talmud-Traktat Taanit „eine Person sollte immer biegsam wie ein Schilfrohr sein und nicht steif wie eine Zeder“. Anders gesagt: „A little bit of Talmud a day, keeps the sorrow away.“
BerichtDemo gegen Justizreform in IsraelRede von Rabbinerin Elisa Klapheck
Liebe Freundinnen und Freunde,
Schalom chawerim – schalom chawerot!
Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Demo,
ob Juden und Jüdinnen,
ob aus Israel
oder ob einfach nur solidarisch mit Israel
und seiner Demokratie,
Das ist die erste Rede auf einer Demonstration, die ich halte.
Ich hätte nie gedacht, dass es soweit mit mir kommt, dass ich auf einer Demo spreche.
Rabbiner sollten sich eigentlich aus der Alltagspolitik heraushalten.
Aber hier geht es nicht um Alltagspolitik – hier geht es um Grundsätzliches!
In der Tora steht ganz eindeutig, dass die Regierung unter dem Gesetz steht –
Unter dem Gesetz und nicht über dem Gesetz
Wenn Du Dir einen König gibst, - sagt die Tora - „soll er sich diese Tora zweimal abschreiben – und sie soll bei ihm sein, dass er darin lese alle Tage seines Lebens, auf dass er lerne den Ewigen seinen Gott zu fürchten, zu beobachten alle Worte der Tora und dieser Rechtssatzungen, um sie auszuüben – dass sich nicht erhebe sein Herz über seine Brüder und dass er nicht weiche von dem Gebote rechts noch links.“ (Deut. 17, 18-20)
In der antiken Welt war das ein Novum – ein König, der sich an die Tora zu halten hat. Der unter ihr steht und aus ihr lernen soll.
Das war ein... Lesen Sie mehr >>