Zur Eröffnung des Europäischen Schabbat im Egalitären Minjan sprach Zentralratspräsident Dr. Josef Schuster
Nachgedanken zum Europäischen Schabbat
von Daniel Krasa
Der Europäische Schabbat ist längst eine Institution des Egalitären Minjan. Alle zwei bis drei Jahre laden wir befreundete Mitglieder aus anderen liberal eingestellten jüdischen Gemeinden zu einem Schabbat nach Frankfurt ein – oder besuchen eine Gemeinde im Ausland, wie etwa die Beit Ha’Chidush in Amsterdam (2006) und Kehillat Kedem in Montpellier (2014). Während es sich in den vergangenen Jahren um ein eher informelles Ereignis für den gegenseitigen Austausch handelte, stand der jüngste Europäische Schabbat am 28. April bis zum 1. Mai 2017 unter dem konkreten Thema: „Pluralistische Gemeinden“.
Neben dem „Frankfurter Modell“ gibt es in Deutschland sowie in anderen Ländern Europas eine wachsende Zahl von Gemeinden, die mehrere Richtungen unter ihrem Dach haben. In der Israelitischen Kultusgemeinde Württemberg hat sich ein vergleichbares „Stuttgarter Modell“ etabliert. In England bieten die Londoner Gemeinde "Mosaic" oder das "Oxford Jewish Centre" ein pluralistisches Modell. In Warschau gibt es in der überwiegend orthodoxen Gemeinde ("G’mina") den liberalen Minjan "Ec Chaim". In der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich lädt "Schabbat Jachdav" zu egalitären Gottesdiensten ein. Was bedeutet diese Entwicklung zu mehr Pluralismus innerhalb der Gemeinden für das Judentum? Geht es um ein dynamisches Miteinander oder bestenfalls nur um ein geordnetes Nebeneinander? Diese und ähnliche Fragen standen im Mittelpunkt der Diskussionen während des Europäischen Schabbat.
Die mehr als 60 Teilnehmer, darunter Gäste aus Frankreich, Polen, den Niederlanden, Belgien und der Schweiz erlebten ein spannendes und dank des Vorbereitungsteams des Egalitären Minjan sehr gut organisiertes Wochenende mit vielen Höhepunkten. Gesponsert wurde das Ereignis von der Frankfurter Jüdischen Gemeinde und dem Zentralrat der Juden. Bei der Eröffnung sprachen der Zentralratspräsident Dr. Josef Schuster und das Gemeindevorstandsmitglied Harry Schnabel. Beide betonten ihr Bekenntnis zum Pluralismus und dankten dem Egalitären Minjan für die Initiative. Eröffnet wurde der Europäische Schabbat von Tania Klaczko-Ryndziun im Namen der Leitung des Egalitären Minjan. Unsere Rabbinerin, Prof. Dr. Elisa Klapheck hielt vor dem Kabbalat Schabbat den traditionellen Schiur zur Paraschat Haschawua. Den Freitagabendgottesdienst begingen wir in großer Runde zusammen mit unserem Chasan Daniel Kempin. Zu einem emotionalen Höhepunkt wurde die mittlerweile zur Tradition des Europäischen Schabbat gehörende „Wandernde Tefilla“ am Samstagvormittag. Wieder fand der Gottesdienst bei einem Spaziergang an verschiedenen jüdischen Orten Frankfurts statt. Diesmal besuchten wir u.a. das ehemalige Wohnhaus Franz Rosenzweigs (1886-1929), die Überreste des ehemaligen Ghettos im Museum Judengasse, wo der Hauptteil des Gottesdienstes stattfand, sowie das Mahnmal bei der zur Europäischen Zentralbank gehörenden Großmarkthalle. Hier begannen die Deportationen in der Schoa. Speziell diese letzte Station – der Blick auf die Schienen, die in den Tod führten, und zugleich auf die beiden schlanken Türme der heutigen EZB - stand sinnbildlich sowohl für das Leid unseres Volkes während der Schoa, als auch für den Neubeginn in einem pluralistisch geprägten Europa, das ohne den großen jüdischen Beitrag zu seiner Geschichte nicht denkbar wäre.
Der Begriff „Pluralismus“, also diese großartige Vision, in der ehrlicher Respekt füreinander und die gegenseitige Anerkennung verschiedener Strömungen innerhalb unseres gelebten Judentums das oberste Gebot sein sollten, bestimmte die Diskussionsrunden, die zu einem großen Teil von Rabbinerin Klapheck moderiert wurden. In den Gesprächen ging es darum, wie der gegenseitige Umgang in Gemeinden mit verschiedenen Richtungen tatsächlich aussieht und was dies für das eigene jüdische Selbstverständnis bedeutet. Wir erfuhren von der liberalen Gruppe in Stuttgart, wie erst eine neue Gemeindesatzung das "Stuttgarter Modell" ermöglichte. Zum dort gelebten Pluralismus gehört es, dass es zwar getrennte orthodoxe und liberale Gottesdienste gibt, der Kiddusch jedoch gemeinsam gefeiert wird. Rabbiner Stas Wojciechowicz sprach über die Entwicklung des liberalen Judentums in Polen. In Warschau gibt es zwar neben der großen Einheitsgemeinde, der "G’mina", die progressive Gemeinde "Beit Warszawa". Doch hat sich auch innerhalb der "G’mina" eine liberale Gruppe mit dem Namen "Ec Chaim" gebildet, deren Rabbiner er ist. Vergleichbare Situationen gibt es in anderen europäischen Städten, so etwa für die egalitäre Gruppe "Schabbat Jachdav" in der Züricher Einheitsgemeinde. Ein diskutierter Aspekt war auch, welche orthodoxen Rabbiner man sich für pluralistische Gemeinden wünscht, denn nicht nur der liberale Flügel muss in ihnen das orthodoxe Judentum respektieren, sondern ebenso der orthodoxe das liberale.
Die Vorsitzende der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg, Barbara Traub, (zugleich Präsidiumsmitglied des Zentralrats der Juden) hielt einen sehr gehaltvollen Vortrag über Pluralismus als neue Perspektive für das jüdische Leben in Deutschland. In diesem Vortrag analysierte sie das Gelingen pluralistischer Entwicklungen auch als das Resultat eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Staat und Religion. Hieran knüpften die Ausführungen von RA Abraham de Wolf (Egalitärer Minjan Frankfurt) an, der den rechtlichen Rahmen für jüdischen Pluralismus historisch und angesichts der politischen Situation in Europa beleuchtete.
Jede Generation muss sich bekanntlich ihr Judentum neu „erarbeiten“ – und so war auch der Blick in die Zukunft ganz besonders aufschlussreich; also darauf, wie die junge Generation mit der Vision des Pluralismus für das jüdische Leben in Europa umgeht. An dieser letzten Runde nahm auch das Frankfurter Vorstandsmitglied, RA Marc Grünbaum teil, der sich gerade auf dem Gebiet der Jugendarbeit sehr engagiert. Die jungen Gäste sparten in seiner Anwesenheit nicht mit kritischen Betrachtungen. Benny Fischer (Vorsitzender der "Europäischen Union jüdischer Studenten"), Hanna Peaceman (Mitherausgeberin der Zeitschrift "Jalta"), Dr. Meron Mendel, Leiter der "Jugendbegegnungsstätte Anne Frank" in Frankfurt am Main beklagten jeweils einen Mangel an Pluralismus innerhalb der jüdischen Gemeinden.
Es wird sicherlich noch lange dauern, bis es zu einer pluralistischen Normalität im jüdischen Gemeindeleben kommen wird, doch die Zeichen stehen gut dafür, dass in Zukunft mehr und mehr Gemeinden erkennen, welchen großen Nutzen sie daraus gewinnen können. In Zeiten wie diesen, wo rechtspopulistische Demagogen wieder mal mehr Einfluss in Europa bekommen, der offene Antisemitismus erkennbar steigt und die Mitgliederzahlen der jüdischen Gemeinden vielerorts weiter sinken, sollte die Diversität uns nicht voneinander entfernen, sondern zusammen führen, um die Basis bilden zu können, die wir alle benötigen, um uns breiter gefächert aufzustellen und sämtliche Tendenzen innerhalb unseres gemeinsamen Judentums zu tolerieren. Es ist nicht nur wichtig, sondern unerlässlich, gemeinsam an einem Strang zu ziehen, um jüdisches Leben weitehrin zu ermöglichen und darüber hinaus dem europäischen Judentum den ihm gebührenden Platz zu sichern. Dass hierzu die innergemeinschaftliche Kommunikation nicht abbrechen darf und auch konstruktive Kritik zwischen verschiedenen jüdischen Gruppen möglich sein muss, ist zweifellos immens wichtig. Doch ist es nicht gerade das, was uns auszeichnet? Ist es nicht gerade – wie es Benny Fischer so passend zusammenfasste – die Tradition der Machloket, die diesen typischen jüdischen Diskurs möglich macht? Denn letztendlich folgen unsere Traditionen eben dem talmudischen Modell des Hillel, der in der Lage war, aus den entgegengesetzten Meinungen zu lernen und diese auch in die eigene Sichtweise einfließen zu lassen.
BerichtDemo gegen Justizreform in IsraelRede von Rabbinerin Elisa Klapheck
Liebe Freundinnen und Freunde,
Schalom chawerim – schalom chawerot!
Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Demo,
ob Juden und Jüdinnen,
ob aus Israel
oder ob einfach nur solidarisch mit Israel
und seiner Demokratie,
Das ist die erste Rede auf einer Demonstration, die ich halte.
Ich hätte nie gedacht, dass es soweit mit mir kommt, dass ich auf einer Demo spreche.
Rabbiner sollten sich eigentlich aus der Alltagspolitik heraushalten.
Aber hier geht es nicht um Alltagspolitik – hier geht es um Grundsätzliches!
In der Tora steht ganz eindeutig, dass die Regierung unter dem Gesetz steht –
Unter dem Gesetz und nicht über dem Gesetz
Wenn Du Dir einen König gibst, - sagt die Tora - „soll er sich diese Tora zweimal abschreiben – und sie soll bei ihm sein, dass er darin lese alle Tage seines Lebens, auf dass er lerne den Ewigen seinen Gott zu fürchten, zu beobachten alle Worte der Tora und dieser Rechtssatzungen, um sie auszuüben – dass sich nicht erhebe sein Herz über seine Brüder und dass er nicht weiche von dem Gebote rechts noch links.“ (Deut. 17, 18-20)
In der antiken Welt war das ein Novum – ein König, der sich an die Tora zu halten hat. Der unter ihr steht und aus ihr lernen soll.
Das war ein... Lesen Sie mehr >>