„Was ist an dieser Nacht anders, als an allen anderen Nächten?“ Dieses traditionelle Credo des Sederabends war auch die Frage, die unsere Mitglieder und Freunde des Egalitären Minjans an Pessach bewegte. Denn anders ist definitiv vieles in einer liberalen Synagoge in Deutschland, mehr als 70 Jahre nach dem Ende der Shoah – und das nicht nur an Pessach.
Traditionell feiern wir den ersten und den zweiten Seder in unseren Räumen im großen Kreis. Geleitet wurde der erste Seder von unserer Rabbinerin Prof. Dr. Elisa Klapheck und der zweite von unserem Chasan Daniel Kempin. An beiden Abenden beschritten jeweils gut 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, unterschiedlichster Herkunft, die locker vier Generationen umspannten, die einzelnen Abschnitte des Seders. Wein, Traubensaft und die obligaten „Zutaten“ Karpas, Maror, Chaseret, Charosset, Beza, Sroa und die Mazzot fehlten natürlich nicht, sie boten die leibliche Unterstützung für den geistigen Austausch.
Pessach ist – vielleicht noch mehr als jedes andere Fest im jüdischen Kalender – ein Fest, an dem das Geistige im Vordergrund stehen soll. Es erinnert uns an den Auszug aus Ägypten, an die Befreiung aus der Sklaverei und an die Wunder Gottes, die vollbracht wurden, um unser Volk zu erretten. Doch an Pessach sollen wir eben auch hinterfragen und so wurde sinnlich debattiert, inwiefern die Erinnerung an die Strafen Gottes gegenüber den Ägyptern noch moralisch vertretbar sei. Es wurde die Frage gestellt, inwieweit der Prophet Elijahu symbolisch für die Verkündung des bevorstehenden messianischen Zeitalters heute noch relevant für uns ist und es beschäftigte uns, ob die Opferrolle des aschkenasischen Judentums nach der Shoah andere Aspekte unserer Identität zu sehr überschattet und somit zur self-fulfilling-prophecy zu werden drohe. In all diesen Punkten waren die Begriffe der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Nation-Building ein wiederkehrendes Thema, denn letztlich hat Pessach auch mit der „Reparatur der Welt“, der angestrebten Tikkun Olam zu tun.
Wie immer im Egalitären Minjan betrachteten wir Pessach zwar von einer liberal-jüdischen Perspektive aus, nichtsdestotrotz folgte der Ablauf dem traditionellen Ritus, inklusive der gemeinsamen Lesung der Haggada und dem Singen der üblichen Lieder wie Dayenu, Echad mi jodea? Hierauf hatte uns unser Chasan in einem Lieder-Schiur vorbereitet. Eine besondere Rolle spielte beim Seder-Abend das berühmte Chad Gadja, zu dem ein spannender Exkurs zu Kunstwerken des russischen Avantgardisten El Lissitzky (1890-1941) gegeben wurde. Der aus Smolensk stammende Lissitzky war zeitlebens der Moderne und dem Konstruktivismus verbunden, stellte aber in zahlreichen Werken auch eine Beziehung zu seiner jüdischen Abstammung dar, so hatte er das Chad Gadja als Leitthema in vielen seiner Gemälde.
Genährt von dieser Mischung aus sozial-politischen Themen im Spiegel unserer religiösen Identität, einem Hauch Kultur und nicht zuletzt hervorragendem Essen, machten sich die Anwesenden zum Ende auf die Suche nach dem Afikoman auf, der am ersten Seder von den Kindern und am zweiten von den Erwachsenen versteckt wurde. Das Finden des Afikoman symbolisiert bekanntlich den Blick nach vorne in die Zukunft.
Geistig und kulinarisch genährt, aber auch hoffnungsvoll in eben diese Zukunft blickend, in der das liberale Judentum einen noch festeren Platz in Deutschland und Europa hat, verließen wir an beiden Abenden jeweils kurz vor Mitternacht die Synagoge. Was braucht man mehr für einen gelungenen Seder?
In diesem Sinne wünschen wir allen Freundinnen und Freunden des Egalitären Minjan
Chag Pessach Sameach weKascher
und
Baschana haBa'a beJerushalajim!
BerichtÖkologischer Spaziergang im Palmengarten zu Tu BischwatAnlässlich Tu Bischwat haben wir uns dieses Jahr im Palmengarten zu einem ökologischen Spaziergang getroffen. Für unsere kleinen Mitglieder wurde eine Fruchtjagd durch den Palmengarten organisiert, die aus vier Stationen bestand. Bei jeder Station gab es eine Erläuterung durch unseren Chasan Daniel Kempin, es wurde gemeinsam gesungen und jede Station bat unterschiedliche Früchte zum Probieren und Genießen an. Trotz des schlechten Wetters konnten wir uns über eine rege Teilnahme freuen und blicken erwartungsvoll dem blühenden Frühling entgegen.