Am Schabbat Jitro (7. Februar 2015) besuchte Prof. Christoph Schulte (Uni Potsdam) den Egalitären Minjan und hielt im Anschluss an den Morgen-Gottesdienst einen Schiur über sein Buch "Zimum. Gott und Weltursprung" (Jüdischer Verlag 2014).
Prof. Schulte las mit den Mitgliedern des Egalitären Minjan einen kabbalistischen Text von Chaim Vital (1543-1620), dem Schüler Isaak Lurias. Hierauf folgte eine spannende Diskussion. Im Vorfeld hatte er die folgenden Informationen über sein Buch verteilt:
Auf den Spuren einer kabbalistischen Lehre
in der jüdischen und christlichen Geistesgeschichte seit 1570
Der Zimzum ist eine der schillerndsten und berühmtesten Lehren der jüdischen Mystik. Der vor der Weltschöpfung allgegenwärtige Gott muß sich im Zimzum von sich selbst in sich selbst zurückziehen, um für die Erschaffung der Welt in seiner eigenen Mitte Platz zu machen. Welt und Mensch, Offenbarung und Freiheit entstehen erst, wo Gott sich zurücknimmt.
Der hebräische Begriff Zimzum bedeutet „Zusammenziehung“, „Kontraktion“, „Rückzug“, „Begrenzung“ und „Konzentration“. In der Kabbala beschreibt er die Selbstzusammenziehung Gottes vor der Erschaffung der Welt und zum Zweck der Weltschöpfung. Geprägt wurde dieser Begriff durch die Lehren des jüdischen Mystikers Isaak Luria (1534–1572), der im späten 16. Jahrhundert in Safed in Galiläa wirkte: Der vor der Weltschöpfung allgegenwärtige Gott, den die Kabbalisten als Ejn Sof, als das Unendliche verstehen, muss sich im Zimzum von sich selbst in sich selbst zurückziehen und konzentrieren, um allererst für die Erschaffung der Welt in seiner eigenen Mitte Platz zu machen. Dabei schränkt Gott seine unendliche Allmacht so ein, dass überhaupt etwas Endliches wie die Welt entstehen kann. Diese entsteht sonach inmitten des unendlichen Gottes, sie ist von ihm umfangen und doch von ihm verschieden. Ohne Zimzum keine Schöpfung. Das macht den Zimzum zu einem der Grundbegriffe des Judentums.
Die lurianische Lehre vom Zimzum gilt nicht erst seit den epochemachenden Forschungen zur jüdischen Mystik des jüdischen Religionshistorikers Gershom Scholem als ein intellektuelles Prunkstück der Kabbala und jüdischen Philosophie. Zunächst war der Zimzum eine esoterische Lehre unter frommen Kabbalisten, die nur im kleinen Kreis mündlich weitergegeben wurde. Aber schon wenige Jahre nach dem Tod Lurias kursierten handschriftliche Aufzeichnungen dieser Lehre in Palästina und Europa. 1612 schließlich erschienen Beschreibungen und Zeichnungen des Zimzum erstmals im Druck und wurden dadurch zugänglich und bekannt. Neben der mannigfachen Verbreitung der Schriften zum Zimzum in kabbalistischen Zirkeln zunächst Italiens und des Balkan im frühen 17. Jahrhundert, später in Amsterdam, in Mittel- und Osteuropa und in der messianischen Bewegung des Sabbatianismus’, wurde der Zimzum namentlich im Chassidismus des 18. Jahrhunderts nachgerade populär und ist dies bis heute in den verschiedenen, sehr aktiven chassidischen Bewegungen wie z.B. den Lubawitscher Chassidim oder den Bratslawer Chassidim geblieben.
Der Zimzum hat jedoch wie kaum eine zweite kabbalistische Lehre gerade auch christliche Theologen, Philosophen, Dichter und Künstler fasziniert. Seine Spuren finden sich nicht nur in Werken christlicher Kabbalisten wie Knorr von Rosenroth, Henry More, Oetinger oder Molitor, sondern auch bei Philosophen wie Brucker, Jacobi, Hegel, Schelling oder Baader, bei Dichtern wie Goethe und Brentano. Selbst Newton und die frühneuzeitliche englische Philosophin Anne Conway waren mit der Lehre des Zimzum vertraut.
Insofern hatte der Zimzum vom 17. bis zum 20. Jahrhundert eine markante und breite Rezeptionsgeschichte sowohl im Judentum als auch im Christentum. Denn in der Philosophie und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts gewinnt der Zimzum bei so unterschiedlichen Autoren und Künstlern wie Franz Rosenzweig, Else Lasker-Schüler, Isaak Bashevis Singer, Harold Bloom oder Anselm Kiefer ganz neue Bedeutung über die Kabbala hinaus. Für den Philosophen Hans Jonas z.B. bietet der Zimzum eine Erklärungsmöglichkeit, wie Gott die Shoah zulassen konnte: Gott hat sich schon bei der Weltschöpfung von der Welt zurückgezogen, und damit dem Menschen und dem Weltgeschehen eine Freiheit gelassen, die auch zu schlimmsten Verbrechen und Katastrophen führen kann. Dahingegen hat der nordamerikanisch-jüdische Maler und Bildhauer Barnett Newman, der durch seine monochromen, abstrakt expressionistischen Bilder berühmt wurde, 1963 den Architektur-Entwurf einer Synagoge vorgelegt, in dem die Synagoge derjenige leere Ort in der Welt ist, aus dem Gott sich — wie im Zimzum — einerseits zurückgezogen hat, damit andererseits im Gottesdienst sich göttliche Präsenz und Schechina („Einwohnung“) ereignen kann, wenn der Gläubige betend und singend vor Gott steht. Die vorgängige Abwesenheit Gottes durch Zimzum ermöglicht allererst seine immer erneute Offenbarung und Präsenz im Gottesdienst. So wurde der Zimzum zu einer bekannten Denkfigur moderner Literatur und Kunst. Selbst der Popstar Madonna ist Anhängerin einer popularisierten Version der lurianischen Kabbala, die Zimzum und Big Bang als Weltursprung zusammenwirft.
Das Buch folgt den Spuren des Zimzum in allen Quellen quer durch die jüdische und christliche Geistesgeschichte Europas und Nordamerikas in mehr als vier Jahrhunderten. Es zeigt den Zimzum als Faszinosum für Juden und Christen in gleicher Weise, als die Idee eines Rückzugs, aus dem etwas Neues entsteht. Der Zimzum ist ein Gedanke, in dessen Wirkungsgeschichte sich – teils rational, teils assoziativ und symbolisch – Theosophie und Philosophie, Göttliches und Menschliches, Jüdisches und Christliches, Mystik und Literatur, Kabbala und Musik, Psychotherapie und Kunst in den Deutungen und Aneignungen jener faszinierenden Lehre von der Selbstverschränkung Gottes begegnen, mischen und befruchten. Das 20. Jahrhundert schließlich erkennt in der Idee der Selbstbegrenzung einerseits eine radikale Gottverlassenheit der modernen Welt, andererseits – in der Übertragung des Zimzum auf den Menschen und sein Verhalten – sehen Rabbiner und christliche Theologen, Psychotherapeuten und Unternehmer in der Zurückhaltung und Selbstbeschränkung des Menschen ein unverzichtbares Moment auch menschlicher Kreativität, innerer Freiheit und Gelassenheit, von friedlicher Koexistenz, Ökologie und gutem Management.
BerichtÖkologischer Spaziergang im Palmengarten zu Tu BischwatAnlässlich Tu Bischwat haben wir uns dieses Jahr im Palmengarten zu einem ökologischen Spaziergang getroffen. Für unsere kleinen Mitglieder wurde eine Fruchtjagd durch den Palmengarten organisiert, die aus vier Stationen bestand. Bei jeder Station gab es eine Erläuterung durch unseren Chasan Daniel Kempin, es wurde gemeinsam gesungen und jede Station bat unterschiedliche Früchte zum Probieren und Genießen an. Trotz des schlechten Wetters konnten wir uns über eine rege Teilnahme freuen und blicken erwartungsvoll dem blühenden Frühling entgegen.