Sephardische Traditionen
Am Schabbat "Wajeschew", 13. Dezember 2014 / 21. Kislew 5775 feierte der Egalitäre Minjan die Namensgebung von Colette Rhaïma Margaretha Hagège. Im Gottesdienst klangen viele sephardische Elemente an. In diesem Zusammenhang sei an den spannenden Schiur erinnert, den Colettes Mutter Chantal Hagège vor nicht langer Zeit hielt und der in die tunesisch-jüdische Tradition ihrer Familie einführt.
Jüdisches Leben in Tunesien
Aus der Zeit der nordafrikanischen Präsenz der Römer - ab 146 v. Chr. - gibt es bereits Beweise jüdischen Lebens in Tunesien: In den Ruinen von Karthago, heute ein Vorort der Hauptstadt Tunis, fand man jüdische Grabinschriften.
Nach der Zerstörung des Zweiten Tempels in Jerusalem im Jahre 70 n. Chr. durch die Römer sollen Juden als Sklaven nach «Africa proconsularis», wie Tunesien damals hieß, gelangt sein. Mit der Dominanz des Christentums im römischen Reich im 4. Jahrhundert n. Chr. endete für die Juden die Zeit der freien Religionsausübung und innerer Autonomie. Sie erhielten Berufsverbote und ihre Synagogen wurden in Basiliken umgewandelt. Die Juden sahen sich veranlaßt, bei Berberstämmen, die dem Judentum gegenüber aufgeschlossen waren, Zuflucht zu suchen.
Von 632 bis 711 n. Chr. dauerte der Prozess der Islamisierung Nordafrikas durch die Araber. Mit Gründung der Stadt Kairouran ca. 670 n. Chr., die später ein Zentrum islamischer und auch jüdischer Gelehrsamkeit wurde, bekamen die Juden als ein (nichtmuslimisches) „Volk der Schrift“ den sogenannten „Dhimmi“ Status. Das bedeutete, sie standen zwar unter dem Schutz der Araber, mussten dafür aber eine besondere Steuer bezahlen und hatten nicht den gleichen Status wie ein Moslem, vor allem in gesellschaftlicher Hinsicht. Es entstand trotz des „Dhimmi“ Status eine Zeit des friedlichen Miteinanders, in der die Juden die arabische Sprache sowie viele Sitten und Gebräuche übernahmen. Sie erlebten einen bemerkenswerten wirtschaftlichen Aufschwung und gingen mit den Muslimen eine fruchtbare kulturelle Symbiose ein, ohne jedoch den «Glauben der Väter» in Frage zu stellen. Maghrebinische Juden fühlten sich in der arabischen Kultur heimisch; eine Reihe von ihnen machte sich in Kunst, Wissenschaft, als Diplomaten und Mediziner einen Namen.
Lange Perioden der inneren Autonomie und Toleranz wurden unterbrochen von Zeiten der Unruhe. Um dem Tod zu entgehen, mussten die Juden zum Islam übertreten, aber heimlich hielten viele an ihrem mosaischen Glauben fest.
Bedeutsam für das Verständnis des jüdischen Lebens in Tunesien ist das Jahr 1492. Es ist das Jahr, in dem der spanische König das Alhambra-Edikt erließ, in dem die Juden aufgefordert wurden, innerhalb von drei Monaten Spanien zu verlassen oder zum Christentum überzutreten. Seinen Ursprung hatte das Ganze in den Kriegen gegen die Mauren in Spanien, die nur durch massive finanzielle Unterstützung ihrer jüdischen Bankiers und Berater möglich geworden waren und schließlich gewonnen wurden. Um möglichen Rückzahlungs-forderungen oder Forderungen anderer Art der jüdischen Bankiers und Berater zu entgehen, wurde dieses Edikt erlassen. Das Edikt gab die Initialzündung zu einer bis dahin beispiellosen Judenverfolgung in Spanien und Portugal, die bis ins 16. Jhdt. andauerte. Ein Teil der aus Spanien vertriebenen Juden emigrierte nach Tunesien, wo sie fortan lebten und von den alteingesessenen Glaubensbrüdern, die „Tunsa“ hießen, als „Sepharden“ bezeichnet wurden.
Der Name Sephardim leitet sich aus dem Buch Obadja aus dem Zwölfprophetenbuch ab, in dem eine Ort- oder Landschaft „Sefarad“ bezeichnet wird und in der Angehörige der verlorenen zehn Stämme Israels lebten. Der Name wurde auf die von der iberischen Halbinsel stammenden Juden übertragen und hat sich erhalten.
Vor allem wirtschaftliche Zwänge führten letztendlich dazu, dass Tunesien 1881 ein französisches Protektorat wurde. Damit verbunden war die endgültige Abschaffung des „Dhimmi“ Status der Juden. In dieser Zeit erlebte Tunesien eine Renaissance des jüdischen Geisteslebens in Form einer intellektuellen, literarischen und religiösen Blüte. Gründe dafür waren vor allem die Verbreitung von Druckerzeugnissen aus Europa und ein Aufblühen der Wirtschaft. Die jüdische Bevölkerung setzte nun auf die französische Kultur. Aufgrund des Engagements der Alliance israelite universelle (einer internationalen kulturellen jüdischen Organisation, die es sich zum Ziel gemacht hatte, für die Emanzipation der Juden einzutreten) wurde von nun an in den jüdischen Schulen auf französisch unterrichtet, es wurde französisch geredet und gedacht und vor allem begannen die Juden, ihren Kindern französische Vornamen zu geben und keine arabischen oder biblischen mehr. Die Juden erhielten ab 1910 aufgrund des Decrets Cremieux die Möglichkeit, die französische Staatsbürgerschaft zu erlangen. Diese Möglichkeit bekam die muslimische Bevölkerung nicht. Juden und Muslime, die vorher eine gewissermaßen homogene Kultur hatten, entfernten sich immer weiter voneinander.
Die Muslime fingen an, die Juden jetzt als Fremde zu empfinden. Es kam zu Übergriffen auf die jüdische Bevölkerung, die aufgrund ihrer speziellen Kleidung immer noch zu erkennen war und die sie nicht ablegen wollten. Nach Übergriffen empfahlen die Rabbiner, die „Dhimmi“ Kleidung abzulegen und sich wie Europäer zu kleiden, damit sie nicht mehr als Juden zu erkennen waren und keine Übergriffe mehr befürchten mußten. Dies hatte zur Folge, daß sich die moslemische Bevölkerung noch weiter von ihnen entfremdete.
Von November 1942 bis Mai 1943 war Tunesien vom hitlerdeutschen Afrika-Korps besetzt. 4.000 Juden wurden gezwungen, für Rommel militärische Befestigungen anzulegen, andere wurden in deutsche Vernichtungslager deportiert. Die deutschen Besatzer raubten den gesamten Besitz der jüdischen Bevölkerung. Die Große Synagoge in Tunis sowie die jüdischen Gotteshäuser in Sfax und Souss wurden geschlossen und als Ställe benutzt. Kaum bekannt ist, dass es immer wieder tunesische Muslime gab, die ihre jüdischen Landsleute vor dem Zugriff der Nationalsozialisten schützten. So z. B. Chaled Abdel el-Wahab, der 1942 eine Jüdin vor den Nazis rettete und als „Gerechter unter den Völkern“ 2007 von der Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem geehrt wurde.
1956 wurde Tunesien nach längeren gewaltlosen Verhandlungen mit Frankreich wieder unabhängig und damit begann ein Erstarken des arabischen Nationalismus. Die Zahl der dort lebenden Juden sank von 105.000 auf 42.000, wovon allerdings 20.000 die französische Staatsbürgerschaft besaßen. Das Jahr 1958 brachte aber das Ende der jüdischen Gemeinden in Tunesien. Von den verbliebenen 42.000 Juden emigriert die Masse zusammen mit den Europäern nach Frankreich und nach Israel. 1962 betrug die Zahl der tunesischen Juden nur noch 30.000. Tunesiens Staatschef, Habib Bourguiba, musste dabei nicht zu Gewaltmaßnahmen greifen. Verwaltungsmaßnahmen und die Arabisierung in Schulen und Wirtschaft zwangen ebenso zum Exodus wie die arabisch-israelischen Waffengänge, vor allem der Sechstagekrieg von 1967. Hiernach war die arabische Bevölkerung gegen die Juden und es gab mehrere Übergriffe auf sie.
Viele Juden mussten ihren Grundbesitz zurücklassen und gehen, da es ihnen aufgrund der Verwaltungsmaßnahmen fast unmöglich gemacht wurde, ihr Land zu verkaufen.
Die meisten von Ihnen emigrierte nach Frankreich und Israel.
Heute wird die Zahl der jüdischen Bevölkerung auf ca. 2.000 geschätzt, wovon ein Großteil (650) auf Djerba lebt.
Die Auswirkung der arabischen Revolution 2010/2011 hatte keine Auswirkungen auf die noch verbleibende jüdische Bevölkerung. Vereinzelt wurden Übergriffe auf Synagogen gemeldet, die jedoch nicht wahr waren.
Es gab sogar den Vorschlag, den Sohn des Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Djerbas, Rene Trabelsi, zum Tourismusminister zu ernennen, der von den radikalen Muslimen in Tunesien abgelehnt wurde. Später stellte sich heraus, daß seine Kandidatur nie zur Debatte stand.
Sonderstellung der Insel Djerba in Bezug auf die Juden
Einer Legende nach besiedelten die ersten Juden Nordafrikas die Insel Djerba.
Für die Juden auf Djerba gibt es keinen Zweifel, dass sie Nachfahren der israelitischen Flüchtlinge sind, die nach der Zerstörung des Ersten Jerusalemer Tempels hier Fuß faßten. Sie brachten, so wird von Generation zu Generation weitergegeben, Reste von Tora-Rollen und Steine aus dem von Salomon errichteten Tempel mit. Auf ihnen soll die legendäre Synagoge «La Ghriba» errichtet worden sein. Dabei handelt es sich um die älteste noch erhaltene Synagoge Nordafrikas. Die Djerba-Juden sprechen ein altes Hebräisch und bewahren eine der ältesten Tora-Rollen der Welt in der «La Ghriba», «die Fremde», auf.
Die jüdische Bevölkerung auf Djerba beklagt den Weggang eines jeden Glaubensbruders, da eine Legende besagt: „Wenn es keine Juden mehr auf Djerba gibt, dann ist der letzte Rabbi gehalten, die Synagoge zu schließen und den Schlüssel in den Himmel zu schleudern.“
Im April 2002 wurde ein islamistischer Terroranschlag auf die Synagoge verübt, wobei auch deutsche Touristen ums Leben kamen. Im Januar 2009 begann in Paris ein Prozess um das Attentat. Unter den Angeklagten war auch ein Deutscher, der seit Juni 2003 in Unter-suchungshaft saß und 2009 zu 18 Jahren Haft wegen Beihilfe zum Mord verurteilt wurde.
Brauchtum
Sprache
Judeo-Arab ist eine Mischung aus hebräisch und arabisch. Viele der philosophischen, religiösen und literarischen Werke der Juden wurden im Mittelalter auf Judeo-Arab mit geändertem hebräischem Alphabet verfaßt; weit verbreitet ist auch das Ladino unter den Sepharden, eine Mischung aus spanisch-arabisch und hebräisch.
Der Glaube an den bösen Blick
Tief verwurzelt ist bei den tunesischen Juden der Glaube an den bösen Blick, der auch in der arabisch-tunesischen Kultur weitverbreitet ist und dessen Ursprung vermutlich ein Volksglaube ist und die Unerklärlichkeit des Auges und der Sehkraft beinhaltet. Bereits bei den Babyloniern 3000 v. Chr. finden sich Beweise für den Glauben an den bösen Blick. Darunter ist Neid und Mißgunst oder aber eine Art Schadenszauber zu verstehen, der einem anderen durch den Blick und die Gedanken zugeworfen wird und das „Glück“ zerstören kann. Auch indem jemand nach außen nett ist, aber im inneren etwas schlechtes über sein gegenüber denkt, wird der böse Blick ausgeübt. Verbreitet ist daher unter den tunesischen Juden niemals mit etwas anzugeben, sondern lieber bescheiden zu sein, um den bösen Blick der anderen nicht zu provozieren. Es ist auch verbreitet, den Zusatz „mit Gottes Hilfe“ oder „wenn Gott will“ zu gebrauchen, wenn über ein zukünftiges Ereignis gesprochen wird. Schützen kann man sich vor dem bösen Blick mit der Chemsa, einem Symbol, das eine Hand darstellt und wie eine Art Schutzschild fungiert. Meistens wird die Chemsa mit einem Auge in der Handfläche dargestellt, das den bösen Blick zurückwirft. In diesem Zusammenhang steht auch der Glaube an die Zahl fünf, die ebenso eine Hand, die Chemsa symbolisiert und daher Glück bringt und den bösen Blick abwehrt.
Pessach
Reis essen ist ausdrücklich erlaubt an Pessach. Der Legende nach gab es in Tunesien eine Hungersnot, bei der viele Leute starben. In dieser Zeit kam an Pessach eine Ladung Reis an, so erlaubten die Rabbiner Reis zu essen. So ist es im Gedenken an diese Hungersnot geblieben und man isst als tunesischer Jude Reis an Pessach.
Yom Kippour
Sehr wichtig für tunesische Juden ist das Ende von Yom Kippour, wenn die Birhkat hacohanim gesagt wird. Zu diesem Zeitpunkt kommen alle Frauen und Kinder zu ihren Männern, Vätern etc. und stellen sich mit ihm unter den Tallit und erleben gemeinsam das Schofar blasen.
Zusammenfassung von Chantal Hagège.
BerichtDemo gegen Justizreform in IsraelRede von Rabbinerin Elisa Klapheck
Liebe Freundinnen und Freunde,
Schalom chawerim – schalom chawerot!
Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Demo,
ob Juden und Jüdinnen,
ob aus Israel
oder ob einfach nur solidarisch mit Israel
und seiner Demokratie,
Das ist die erste Rede auf einer Demonstration, die ich halte.
Ich hätte nie gedacht, dass es soweit mit mir kommt, dass ich auf einer Demo spreche.
Rabbiner sollten sich eigentlich aus der Alltagspolitik heraushalten.
Aber hier geht es nicht um Alltagspolitik – hier geht es um Grundsätzliches!
In der Tora steht ganz eindeutig, dass die Regierung unter dem Gesetz steht –
Unter dem Gesetz und nicht über dem Gesetz
Wenn Du Dir einen König gibst, - sagt die Tora - „soll er sich diese Tora zweimal abschreiben – und sie soll bei ihm sein, dass er darin lese alle Tage seines Lebens, auf dass er lerne den Ewigen seinen Gott zu fürchten, zu beobachten alle Worte der Tora und dieser Rechtssatzungen, um sie auszuüben – dass sich nicht erhebe sein Herz über seine Brüder und dass er nicht weiche von dem Gebote rechts noch links.“ (Deut. 17, 18-20)
In der antiken Welt war das ein Novum – ein König, der sich an die Tora zu halten hat. Der unter ihr steht und aus ihr lernen soll.
Das war ein... Lesen Sie mehr >>