Schiurim über MedizinethikMit Dr. Ulrike Gottwald-Hostalek und Dr. Schimon Staszewski hatte der Egalitäre Minjan gleich zwei medizinethisch Bewanderte, die in jüngster Zeit in einer Reihe von Schiurim Themen wie Organspende (20.4., siehe Archiv) und Sterbehilfe (8.8.) oder aber Schwangerschaftsaustragung in einem künstlich am Leben gehaltenen Körper (5.10.) aus jüdischer Sicht beleuchteten.
Beim Schiur über Sterbehilfe behandelte Ulrike Gottwald-Hostalek detailliert die deutsche Rechtslage sowie die halachischen Quellen zu diesem Thema. Danach ist im Judentum Sterbehilfe bei schwer oder unheilbar Erkrankten, bei dauerhaft bewusstlosen Patienten und bei schwer geschädigten Neugeborenen in keinem Fall erlaubt. Wie aber wird Sterbehilfe bei normal Sterbenden beurteilt, und wie wird dabei der „Goses“ (der Sterbende kurz vor dem Tod) definiert. Hierzu Auszüge aus den Schiur-Unterlagen:
„Sterbender: Halachische Definition
- Talmud: Ein „Goses“ ist ein Mensch, der im unmittelbaren Angesicht des Todes steht
- Rav Bleich: Ein „Goses“ ist ein Mensch, der voraussichtlich nicht mehr länger als 72 Stunden leben wird
- Rav Schlomo Salmen Auerbach: Ein „Goses“ lässt sich nicht eindeutig definieren
Hilfereich ist die Definition von Rav Bleich, nach der die Lebenserwartung eines Sterbenden nicht mehr als 72 Stunden beträgt. Obwohl der Tod eines Sterbenden nach jüdischem Gesetz nicht beschleunigt werden darf, sollte aber auch alles vermieden werden, das den Sterbeprozess künstlich hinauszögert.
Halacha: Behandlung eines Goses
- Talmudtraktat Schabbat: „Derjenige, der die Augen einer sterbenden Person verschließt, während die Seele dabei ist, sie zu verlassen, vergießt Blut (wird als Mörder bezeichnet)“
- Bestätigung in ähnlicher Formulierung in Semachot, Kodifizierung des Maimonides und des Schulchan Aruch: Jeder Handlung, die den Tod einer sterbenden Person beschleunigen könnte, ist nach dem jüdischen Gesetz verboten.
Sterbehilfe: Halachische Quellen 1
- Rabbi Jehuda ben Samuel (13. Jhr.): „… wenn eine Person im Sterben liegt, und in der Nähe ihres Hauses fällt jemand Holz, so dass die Seele nicht entfliehen kann, so soll jemand den Holzfäller von dort vertreiben.“
- Rabbi Mosche Isserles (16. Jhr.): „… wenn irgendetwas vorhanden ist, was die Seele daran hindert, zu entfliehen…, so ist es erlaubt, dieses Hindernis zu entfernen…“
Daher können oder sollten nach Meinung einiger Rabbinen bei Sterbenden Behandlungen unterlassen werden, die Leiden und Todeskampf verstärken.
Sterbehilfe: Halachische Quellen 2
- Rabbinenu Nissim von Gerondi (13. Jhr.): „… gibt es Umstände, dass man für den Tod eines Kranken beten sollte, beispielsweise, wenn die kranke Peron sehr leidet und ein Überleben nicht möglich ist…“
- Rabbiner David Benjamin Soussan: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ könnte auch als Verbot interpretiert werden, einen Menschen grausam und mit quälender Perspektive am Leben zu erhalten.
Sterbehilfe: Zeitgenössische Meinung 1
- Rabbiner Lord Jakobovits (1975): „Jegliche Form aktiver Sterbehilfe ist nach jüdischem Gesetz strengstens verboten. Sie gilt als Mord… Gleichzeitig wird aber von der Halacha erlaubt – ja vielleicht sogar verlangt – einen Faktor zu entfernen, ob außerhalb des Patienten oder am Patienten selbst, der künstlich den Sterbevorgang verlängern könnte“
- Rav Elieser Jehuda Waldenberg sagt, nach jüdischem Gesetz ist es erlaubt, dem Sterbenden narkotische Analgetika zu geben, sogar dann, wenn diese (unbeabsichtigt) den Tod beschleunigen könnten
Sterbehife: Zeitgenössische Meinung 2
- Prof. Abraham (Schüler von Rav Schlomo Salmen Auerbach): Alle Patienten müssen mit Nahrung, Flüssigkeit, Sauerstoff und lebenserhaltenden Medikamenten versorgt werden. Patienten mit schweren chronischen Erkrankungen, die nicht terminal sind, werden wie andere Patienten behandelt. Bei Sterbenden könnten Eingriffe unterbleiben, die Leiden und Todeskampf verstärken
- -Rav Bleich (1981): Unter gewissen Umständen können bei Sterbenden Behandlungen unterlassen werden. Jede Handlung, die den Sterbeprozess eines Goses verlängert, ist verboten. Die Grundversorgung muss bei allen Sterbenden gewährleistet sein. Aktive Sterbehilfe ist nach jüdischem Gesetz verboten. Auch das Abbrechen einer begonnenen Therapie ist nach den Gesetzen der (orthodoxen) Halacha bedenklich. Neue Maßnahmen, die nur das Sterben hinauszögern, müssen nicht in jedem Fall getroffen werden.
Nach einem allgemeinen Schiur über jüdische Medizinethik im August bot Schimon Staszewski am 5. Oktober eine Auseinandersetzung anhand eines Beispiels. Dabei vertrat er die These, dass jüdische Ethik nicht von allgemeinen Prinzipien ausgehe, um Einzelfälle zu beurteilen. Vielmehr setze sie sich umgekehrt, zunächst mit allen Einzelfragen eines betreffenden Falles auseinander, um auf diese Weise zu Prinzipien zu gelangen. Die Teilnehmer brachte er in einer spannenden Diskussion dazu, aus jeder sich stellenden Frage weitere Folgefragen zu ziehen, die am Ende alle zusammen einen halachischen Weg aufzeigen könnten.
BerichtDemo gegen Justizreform in IsraelRede von Rabbinerin Elisa Klapheck
Liebe Freundinnen und Freunde,
Schalom chawerim – schalom chawerot!
Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Demo,
ob Juden und Jüdinnen,
ob aus Israel
oder ob einfach nur solidarisch mit Israel
und seiner Demokratie,
Das ist die erste Rede auf einer Demonstration, die ich halte.
Ich hätte nie gedacht, dass es soweit mit mir kommt, dass ich auf einer Demo spreche.
Rabbiner sollten sich eigentlich aus der Alltagspolitik heraushalten.
Aber hier geht es nicht um Alltagspolitik – hier geht es um Grundsätzliches!
In der Tora steht ganz eindeutig, dass die Regierung unter dem Gesetz steht –
Unter dem Gesetz und nicht über dem Gesetz
Wenn Du Dir einen König gibst, - sagt die Tora - „soll er sich diese Tora zweimal abschreiben – und sie soll bei ihm sein, dass er darin lese alle Tage seines Lebens, auf dass er lerne den Ewigen seinen Gott zu fürchten, zu beobachten alle Worte der Tora und dieser Rechtssatzungen, um sie auszuüben – dass sich nicht erhebe sein Herz über seine Brüder und dass er nicht weiche von dem Gebote rechts noch links.“ (Deut. 17, 18-20)
In der antiken Welt war das ein Novum – ein König, der sich an die Tora zu halten hat. Der unter ihr steht und aus ihr lernen soll.
Das war ein... Lesen Sie mehr >>