Etappen des ReformjudentumsGleichberechtigung der Frau
In einem weiteren Schiur über die Etappen des Reformjudentums sprachen Susanne Michal Schwartze und Rabbinerin Elisa Klapheck am 29. Juni über ein Dokument aus den Protokollen der Breslauer Rabbinerkonferenz von 1846. Dieses zählte sechs Punkte auf, mit denen die vollständige religiöse Gleichberechtigung der jüdischen Frau erreicht werden sollte. Das beim Schiur verteilte Handout fasste die Punkte und ihre Begründungen folgendermaßen zusammen:
1) Wie Männer sollten fortan auch Frauen alle Mizwot befolgen, die von der Zeit abhängen, sofern diese noch für das religiöse Bewusstsein prägend waren.
Zur Erläuterung: Mizwot, die von der Zeit abhängen, sind z.B. das tägliche Sch’ma-Lesen, das Anlegen von Tefillin oder die Tora-Lesung. Indem Frauen hiervon befreit waren (Brachot 20b), trugen sie auch keine aktive Verantwortung für den Gottesdienst. Traditionell wurde dies damit erklärt, dass die Frauen die Zeit bräuchten, um ihrer Pflicht als Mutter nachzukommen. Das Breslauer Dokument wies dieses Argument jedoch zurück. Mizwot wie das tägliche Morgengebet seien kein zu großes Zeitopfer, als dass es der Frau nicht zugemutet werden könnte, zumal Männer aufgrund ihrer Pflicht zur Ernährung der Familie zeitlich noch viel eingeschränkter seien. Überdies sind die vielen Ausnahmen anzumerken, die das Prinzip unlogisch erscheinen lassen. So verpflichtete der Talmud Frauen zu vielen zeitgebundenen Mizwot, wie etwa das Lesen der Megilla an Purim (Megilla 4a), die vier Gläser Wein an Pessach (Pessachim 108b) oder das Zünden der Chanukka-Lichter (Schabbat 23a). Begründet wurde dies damit, dass auch die Frauen an den mit dem Fest verbundenen Wundern beteiligt waren.
2) Frauen und Männer sollten die gleichen Verpflichtungen gegenüber ihren Kindern haben.
Traditionell oblag den Vätern die letztgültige Entscheidungsgewalt in der Familie. So waren sie verpflichtet, für die religiöse Identität und Erziehung ihrer Söhne zu sorgen. Der Talmud verstand darunter, sie zu beschneiden, auszulösen, die Tora zu lehren, zu verheiraten und ein Handwerk zu lehren, nach Ansicht mancher, auch schwimmen zu lehren. (Kidduschin 29a) Allerdings betonte erst die nachtalmudische Literatur, dass nur die Väter diese Pflicht hatten, nicht aber die Mütter (Siehe Tur, Jore Dea 245ff.)
3) Weder der Ehemann noch der Vater sollte länger das Recht haben, die Ehefrau oder die religiös mündige Tochter aus ihrem Gelübde zu entlassen.
Dieses Recht stammte aus der Tora (Bamidbar 30). Wenn eine Frau gegenüber Gott gelobte, etwas zu tun oder nicht zu tun, konnte der Vater oder der Ehemann, wenn er das Gelübde ablehnte, dieses auflösen. Die Bestimmung spiegelte eine patriarchale Gesellschaftsordnung wider, in der der Vater oder Ehemann für die Frau verantwortlich war. Auch wenn sie im modernen Zeitalter nicht mehr wörtlich zur Anwendung kam, oblag dem Ehemann als Familienoberhaupt bis in die 1960-er Jahre auf vielen Gebieten die letztgültige Entscheidung darüber, was sein Frau tun durfte (z.B. ein eigenes Konto zu führen und geschäftsfähig zu sein). Die Breslauer Erklärung von 1846 hingegen gestand der Frau zumindest im ideellen Sinne die vollständige Verfügungsgewalt über ihr eigenes Tun zu.
4) Der Segensspruch „Gesegnet seist Du Ewiger … der mich nicht als Frau erschaffen“ (schelo assani ischa) soll aus dem Siddur gestrichen werden.
Traditionell wurde behauptet, dass der Segensspruch nicht diskriminierend gemeint sei, sondern lediglich bekundete, dass Männer eine größere Bürde tragen, nämlich zu noch mehr Mizwot verpflichtet seien. Das Breslauer Dokument hob jedoch hervor, dass die „Heiligkeit“ Israels nur durch eine aktive Ausübung von Mizwot bewahrheitet werde, zu der auch die Frauen beitragen müssen.
5) Mädchen sollten verpflichtet sein, am Religionsunterricht und am öffentlichen Gottesdienst teilzunehmen. Auch zum Minjan sollten sie mitgezählt werden.
Interessanterweise hatte erst der Schulchan Aruch im 16. Jahrhundert ausdrücklich festgelegt, dass die zehn Personen Männer sein müssen (SA Orach Chajim 55:1).
6) Die religiöse Mündigkeit soll für beide Geschlechter mit dreizehn Jahren beginnen.
Den Maßstab bildete hierbei die bei den Jungen mit dreizehn angenommene geistige Reife. Dennoch hat sich im liberalen Judentum die Bat Mizwa mit zwölf Jahren – also das im Talmud für die Geschlechtsreife und Heiratsfähigkeit angegebene Alter - durchgesetzt.
[Siehe Protokolle der 3. Versammlung der deutschen Rabbiner, Breslau, den 13. bis 24. Juli 1846, zur Gleichberechtigung der Frau siehe die 15. Sitzung.]
- 1922, erste Bat Mizwa – Judith Kaplan, Tochter von Mordecai Kaplan, dem Begründer des Rekonstruktionismus in den USA.
- Beide nicht-orthodoxe Rabbinerseminare in Deutschland - das 1854 in Breslau errichtete Jüdisch-Theologische Seminar und die 1872 in Berlin gegründete Hochschule für die Wissenschaft des Judentums – ließen schon früh Frauen als Studentinnen zu. Zumeist strebten diese einen Abschluss als Religionslehrerin an.
- 1935, Ordination von Regina Jonas als erste Rabbinerin in der jüdischen Geschichte
- 1972, Ordination von Sally Priesand am Hebrew Union College in Cincinatti (Reform)
- 1985, Ordination von Amy Eilberg am Jewish Theological Seminary (New York)
BerichtDemo gegen Justizreform in IsraelRede von Rabbinerin Elisa Klapheck
Liebe Freundinnen und Freunde,
Schalom chawerim – schalom chawerot!
Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Demo,
ob Juden und Jüdinnen,
ob aus Israel
oder ob einfach nur solidarisch mit Israel
und seiner Demokratie,
Das ist die erste Rede auf einer Demonstration, die ich halte.
Ich hätte nie gedacht, dass es soweit mit mir kommt, dass ich auf einer Demo spreche.
Rabbiner sollten sich eigentlich aus der Alltagspolitik heraushalten.
Aber hier geht es nicht um Alltagspolitik – hier geht es um Grundsätzliches!
In der Tora steht ganz eindeutig, dass die Regierung unter dem Gesetz steht –
Unter dem Gesetz und nicht über dem Gesetz
Wenn Du Dir einen König gibst, - sagt die Tora - „soll er sich diese Tora zweimal abschreiben – und sie soll bei ihm sein, dass er darin lese alle Tage seines Lebens, auf dass er lerne den Ewigen seinen Gott zu fürchten, zu beobachten alle Worte der Tora und dieser Rechtssatzungen, um sie auszuüben – dass sich nicht erhebe sein Herz über seine Brüder und dass er nicht weiche von dem Gebote rechts noch links.“ (Deut. 17, 18-20)
In der antiken Welt war das ein Novum – ein König, der sich an die Tora zu halten hat. Der unter ihr steht und aus ihr lernen soll.
Das war ein... Lesen Sie mehr >>