Europäischer SchabbatZum dritten Mal hat der Egalitäre Minjan zu einem Europäischen Schabbat nach Frankfurt eingeladen. Am Wochenende des 11. bis 13. Mai erlebten die aus den Niederlanden, Norwegen, Polen, Russland, der Schweiz und Israel, wie auch aus verschiedenen deutschen Städten angereisten Gäste einen inspirierenden Schabbaton. Im Mittelpunkt der Diskussionen stand die Frage nach den Möglichkeiten einer „liberalen Halacha“ und welche Bedeutung sie für liberale Juden haben kann.
Der Europäische Schabbat ist ein informelles Treffen von religiös interessierten, ideologisch jedoch nicht festgelegten Jüdinnen und Juden. Gemeinsam soll über den eigenen Tellerrand geschaut und über Aspekte des wieder entstehenden liberal-jüdischen Lebens in Europa diskutiert werden. Zugleich ist dies eine Gelegenheit, das „Frankfurter Modell“ kennenzulernen. Dieses baut auf einem pluralistischen Verständnis der Einheitsgemeinde, wodurch sowohl orthodoxe als auch liberale Juden in der Frankfurter Gemeinde sichtbar ihren Platz haben. Eine Folge hiervon ist, dass der Egalitäre Minjan auf keine der großen Strömungen (progressives Judentum, Masorti, Rekonstruktionismus) festgelegt ist, sondern sein Zuhause in der Einheitsgemeinde zusammen mit anders eingestellten Juden sieht.
Rabbinerin Elisa Klapheck legte den Tora-Abschnitt „Emor“ auf das Thema des Wochenendes hin aus: Bilden die für Priester geltende Perfektionskriterien weiterhin einen halachischen Maßstab für das heutige Verständnis von Kult und Ritualen? Klapheck unterschied zwischen ritueller und ethischer Halacha. Der halachische Diskurs sollte heute über Fragen von Religion und Ritus hinaus Orientierung auch auf säkularen Feldern bieten.
Welche Bindungskraft aber würde Halacha dann haben?
Der aus der Amsterdamer Gemeinde Beit Ha’Chidush angereiste Sozialphilosoph Robin Brouwer gab kritisch die Tendenz zur „light community“ zu bedenken. Sie sei die Folge des postmodernen, neoliberalen und konsumtiven Zeitgeistes. „Eine ‚light community‘, wie ‚Coca Cola light‘ legt nahe, etwas Süßes ohne Gewichtzunahme zu genießen – Genuss ohne Konsequenzen. (…) Die ‚light community‘ ist ein Kompromiss: Wir kommen zusammen und teilen Erfahrungen, aber ohne soziale Verpflichtungen.“ Wie nachhaltig sei eine jüdische Erneuerung in Europa im Zeichen neoliberaler Individualität?
Trotz dieses prekären Befundes, mit dem heute alle liberalen Gemeinden und Gruppierungen zu kämpfen haben, bezeugten die Teilnehmer des Europäischen Schabbat gerade auch in der Auseinandersetzung, welche Rolle eine Halacha der Zukunft spielen sollte, ihre grundsätzliche Bindung an das Judentum. Rabbiner Arik Ascherman aus Jerusalem sprach von der Notwendigkeit einer „Meta-Halacha“, die allgemeine Standards der Zusammenarbeit zwischen orthodoxen, liberalen und säkularen Juden festlegt. Ascherman ist ein Sprecher der „Rabbis for Human Rights“ in Israel, die für den Zusammenhalt ihrer Mitglieder bestimmte religiöse Themen ausklammert, um dafür an einem größeren religiösen Thema: Gerechtigkeit – zu arbeiten. Obwohl Aschermans Ausführungen in einer ganz anderen Situation lokalisiert sind, berührten sie auf verblüffende Weise das pluralistische Verständnis von der Einheitsgemeinde, das in Frankfurt gepflegt wird.
Ähnlich hoffte Rabbinerin Lynn Feinberg aus Oslo auf einen grundsätzlichen innerjüdischen Paradigmenwechsel, der es ermöglicht, im Ringen mit gegenwärtigen Herausforderungen die gelebte Beziehung zu Gott zu erneuern und dabei die spaltenden Attribute „orthodox“ und „liberal“ hinter sich zu lassen. Rabbinatsstudentin Hannah Nathans aus den Niederlanden erläuterte Möglichkeiten, Halacha innerhalb eines nicht mehr abgrenzenden, sondern inkludierenden Paradigmas, das die Juden in den Zusammenhang allgemeiner globaler Herausforderungen stellt, weiter zu entwickeln. Hierbei bezog sich Nathans auf Rabbiner Zalman Schachter-Shalomis Buch „Integral Halachah – Transcending and Including“.
Mehrere Gäste beschrieben die jüdische Wirklichkeit an ihrem jeweiligen Ort. Peter Zamory erzählte die Geschichte des Egalitären Minjan in Hamburg, der sich mal dem progressiven Judentum, mal der konservativen Masorti-Bewegung zugeordnet hatte, inzwischen aber einen Weg innerhalb der Einheitsgemeinde suche. Rabbinerin Elena Rubinstein berichtete über das progressive jüdische Leben in St. Petersburg.
Eine eigene Sicht bot Rabbinerin Tanya Segal von Beit Kraków in Bezug auf das todgeglaubte, sich nunmehr aber neu herausbildende jüdische Leben in Polen. Die typische Statusfrage, ob jemand „halachisch“ Jude sei, sei in Polen kontraproduktiv. Tausende, wenn nicht Zehntausende Menschen jüdischer Herkunft, deren Eltern und Großeltern die Schoa überlebten, treten jetzt erst, nach Jahrzehnten des kommunistischen Antisemitismus und Atheismus zaghaft in Erscheinung. Ihnen gegenüber bestehe die Verantwortung des Rabbiners nicht darin, sie nach halachischen Kriterien zu klassifizieren, sondern ihnen einen Weg ins Judentum aufzuzeigen, der ihre bisherige Biographie respektiert.
Die Statements und Vorträge bewegten sich zwischen zwei Polen: liberale Halacha, um eine rituelle Gemeinschaft zu bilden – oder liberale Halacha, um die jüdische Tradition mit säkularen Themen zu verknüpfen. Die Krönung bot hierbei der Vortrag von Rabbiner Tom Ku?era von Beth Shalom in München. Er sprach über die Möglichkeiten einer ökologischen Halacha. Seine Ausführungen basierten auf dem berühmten Midrasch zur Frage: Welche Werke sind schöner? Die von Gott oder die der Menschen? Die Antwort, die Rabbi Akiba hierauf gab: Die Werke der Menschen. Gott schafft nur das Korn. Der Mensch aber bäckt daraus Brot. Aus diesem Midrasch folge, dass die Menschen eine eigene Beziehung zur Schöpfung haben, die anders sei als die Beziehung Gottes zur Schöpfung. Der Begriff Tikkun Olam, der eine Reparatur zur Wiederherstellung eines ursprünglichen idealen Zustandes meine, drücke eine unrealistische Hoffnung aus. Vielmehr sei der von den Menschen betriebene ökologische Raubbau so weit fortgeschritten, dass eine Halacha Hazala – eine Halacha, die rettet – erarbeitet werden müsse. Statt sich auf allgemeine, meta-halachische Prinzipien zu beschränken, stellte Ku?era konkrete Beispiele des ökologischen Umbaus der Wirtschaft vor und erläuterte deren Vor-und Nachteile als Gesichtspunkte einer ökologischen Halacha.
Was den Europäischen Schabbat diesmal wieder zu einem Erfolg machte, war seine informelle Form. Die Gäste brauchten außer der Anreise nichts zu bezahlen und wurden privat bei Minjan-Mitgliedern untergebracht. Es handelte sich um keine offizielle Konferenz, sondern um einen erweiterten Schabbaton mit Gästen. Im Zentrum stand der gegenseitige Austausch zur Gewinnung einer europäischen Sicht auf die jüdische Gegenwart jenseits der Denominationen. Unvergesslich bleiben die Gottesdienste, zu denen neben Daniel Kempin, dem Vorbeter des Egalitären Minjan, und Leah Frey-Rabine auch die Gäste selbst beitrugen. Zur Tradition geworden ist inzwischen die „laufende T’filla“ – ein Spaziergang am Schabbat Morgen, bei dem die Gebete an jüdischen Orten in Frankfurt, etwa am Börneplatz oder in der Ruine der einstigen Synagoge von Samson Raphael Hirsch gesprochen werden. Einen weiteren Höhepunkt bildete das Kulturprogramm an Mozaei Schabbat mit den Schalom Singers der Frankfurter Gemeinde sowie Jospels (Jüdische Gospel), dargeboten von Sharon Alexander aus Basel. Alle waren sich darin einig, dass die Tradition de alle zwei Jahre stattfindenden Europäischen Schabbat in jedem Fall fortgesetzt werden soll.
BerichtÖkologischer Spaziergang im Palmengarten zu Tu BischwatAnlässlich Tu Bischwat haben wir uns dieses Jahr im Palmengarten zu einem ökologischen Spaziergang getroffen. Für unsere kleinen Mitglieder wurde eine Fruchtjagd durch den Palmengarten organisiert, die aus vier Stationen bestand. Bei jeder Station gab es eine Erläuterung durch unseren Chasan Daniel Kempin, es wurde gemeinsam gesungen und jede Station bat unterschiedliche Früchte zum Probieren und Genießen an. Trotz des schlechten Wetters konnten wir uns über eine rege Teilnahme freuen und blicken erwartungsvoll dem blühenden Frühling entgegen.